Der Luftfracht auf den Fersen

Hauptanliegen des Internationalen Koordinationsrats für Transsibirientransporte CCTT ist die Förderung der Transitverkehre zwischen Europa und Fernost über den euroasiatischen Transitkorridor Nr. 1 – die Transsibirische Eisenbahnmagistrale. OWC ging im Gespräch mit Werner Albert, Vice Chairman des CCTT, Ehrenpräsident der GETO und Chairman der TransInvest Gruppe, der Frage nach, ob die Landbrücke über Russland angesichts des aktuellen schwierigen politischen Umfelds ins Wanken geraten ist.


OWC: Wie sieht die Bilanz des Europa-Fernost-Schienenverkehrs via Russland vor dem Hintergrund der derzeitig schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage aus?


Werner Albert: 2014 war eindeutig ein Erfolgsjahr für die Landbrücke. Das zeigen zum Beispiel Zahlen der Chinesischen Eisenbahnen. Danach fuhren im vergangenen Jahr 308 Ganzzüge mit 26.070 TEU (Standardcontainereinheiten) von China nach Europa. Das waren weit mehr Ganzzüge als im Vorjahr. Hinzu kamen zahlreiche Containergruppen. Das Interesse in China an Bahnverkehren mit Europa hat eindeutig zugenommen. In umgekehrter Richtung waren es, wenn man von den Zügen für BMW absieht, deutlich weniger. Das zeigt das Ungleichgewicht in den Handelsbeziehungen, das den Containerrundlauf schwierig macht. Aber auch bei diesen Verkehren gab es 2014 achtbare Fortschritte. Es sind die ersten Ganzzüge in dieser Richtung gefahren. 2015 sollen fahrplanmässige Verkehre ebenfalls dafür entwickelt werden. Das Unternehmen InterRail, das stark in diesen Verkehren engagiert ist, will 2015 pro Monat vier reguläre Ganzzüge nach China fahren.


OWC: Gab es besondere Höhepunkte im vergangenen Jahr?

Werner Albert: Dazu gehört zweifellos der Containerzug von Yiwu in Südostchina nach Madrid im November letzten Jahres. Das war mit 13.000 Kilometern die bisher längste Strecke, die ein Containerzug zwischen China und Europa zurückgelegt hat. Der Zug brauchte dafür 21 Tage. Ende Januar ist jetzt ein Testzug in die Gegenrichtung aufgebrochen, mit Wein, Oliven und Honig an Bord. Ab 1. März soll daraus ein regulärer Verkehr in beide Richtungen werden. Der eigentliche Erfolg ist, dass es offensichtlich gelingt, hier einen weiteren regulären Verkehr zu etablieren. Das ist das wichtigste Ergebnis der letzten Jahre, dass die Zahl regulärer, also fahrplanmässiger Züge zugenommen hat. Das schafft für die Kunden Planungssicherheit und macht diese Verkehre attraktiver.


OWC: Welche Routen werden zurzeit mit regulären Verkehren bedient?

Werner Albert: Insgesamt werden im Bahnverkehr China-Europa drei Korridore genutzt. Diese sind alle mit der Transsibirischen Eisenbahnmagistrale verbunden. Dazu gehören die Route über Kasachstan und Russland, die Route über die Mongolei und Russland sowie als dritte die Route über den direkten chinesisch-russischen Grenzübergang Manzhouli. Die letztere Verbindung führt über die gesamte Länge der Transsibirischen Eisenbahnmagistrale. Die Containerzüge aus Leipzig für die BMW-Montagewerke in China nutzen zum Beispiel diesen Korridor. In letzter Zeit hat sich eine starke Präferenz für Verkehre über die Strecke China-Kasachstan-Russland nach Zentral- und Westeuropa abgezeichnet. Das trifft zum Beispiel für die Regelzugverkehre von Chongqing nach Duisburg, Zhengzhou nach Hamburg, Wuhan nach Pardubice und Chengdu nach Lodz zu.

Wenn heute auch die Chinaverkehre im Fokus stehen, so rollen Container im Transit durch Russland zwischen Europa und Zentralasien, Japan, Südkorea und anderen asiatischen Ländern ebenfalls ganz oder teilweise über die Transsib. Insgesamt wurden 2014 auf der Transsibirischen Eisenbahnlinie rund 726.000 TEU im internationalen Verkehr befördert, davon im Transitverkehr rund 131.000 TEU, eine Steigerung von 11,7 Prozent.


OWC: So erfreulich für die Bahnen sicher die Zunahme der langlaufenden Verkehre ist, so fallen die Transportzahlen über die Landbrücke im Vergleich zur Fernostschifffahrt nach wie vor bescheiden aus?

Werner Albert: Der Platz der Bahn ist im Europa-Asien-Verkehr insbesondere bei hochwertigen Gütern. Sie ist bekanntlich schneller als der Seeweg, was für einige Produkte interessant sein dürfte. Mit zunehmender Verkürzung ihrer Beförderungszeiten rückt die Bahn sogar immer näher an die weit teurere Luftfracht heran. Bei den Bahnen wird zurzeit das Ziel verfolgt, dass die Container aus China schon in zwölf Tagen Europa erreichen. Die Luftfracht, die über die grossen Hubs realisiert wird, braucht mit Vor- und Nachlauf zu den grossen Plätzen bis zu sieben Tage. Also der Abstand ist geschmolzen.


OWC: Die Transsibirische Eisenbahnmagistrale braucht zur Modernisierung und Kapazitätserweiterung rund 562 Milliarden Rubel. Stehen diese Mittel angesichts der Lage im russischen Staatshaushalt überhaupt zur Verfügung?

Werner Albert: Hinsichtlich der Beseitigung von Engpässen auf der Transsibirienroute geht es in erster Linie um eine höhere Durchlassfähigkeit der Strecke für den Transport russischer Rohstoffe und Energieträger zu den Exporthäfen in Ostsibirien. Dafür soll vor allem die Baikal-Amur-Magistrale, die parallel zur Transsib-Hauptstrecke verläuft, ausgebaut werden. Der erforderliche Investitionsaufwand für dieses komplexe Vorhaben ist sehr hoch. Angesichts der angespannten Lage im russischen Staatshaushalt ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Projekte zum Teil zeitlich gestreckt werden müssen. Nach aktuellem Stand sollen die erforderlichen Mittel aus dem Föderalen Zielprogramm für den Transportsektor aus dem Wohlstandsfonds, dem Strategiefonds des Präsidenten und eigenen Mitteln der Russischen Eisenbahn RZD mobilisiert werden. Die Diskussion, wie das Gesamtvorhaben letztendlich finanziert wird, ist bei Weitem nicht abgeschlossen.


OWC: Würden die Containerverkehre über die Landbrücke von einer eventuellen Aufschiebung von Modernisierungs- und Ausbauvorhaben betroffen sein?

Werner Albert: Containerganzzüge werden von Russischen Bahnen präferiert behandelt, sowohl beim Tarif als auch der Betriebstechnologie. Sie fahren heute im sogenannten Reisezugregime, das heisst, sie haben Vorrang vor dem allgemeinen Güterverkehr und bewegen sich mit Reisezuggeschwindigkeit. Das ist Teil eines komplexen Programms, mit dem die Russischen Bahnen die Beförderungszeit für den Containertransit in den letzten Jahren deutlich verkürzt haben. Dazu gehören ebenso die Verringerung der Zahl technologisch bedingter Unterwegsbehandlungen und der Einsatz leistungsfähigeren rollenden Materials. Gegenwärtig wird an einer weiteren Reduzierung der Transitzeiten gearbeitet. Zwischen den GUS-Bahnen gibt es ein generelles Programm zur Verkürzung der Transitzeiten. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Von Dostyk an der kasachisch-chinesischen Grenze bis Brest an der belarusisch-polnischen Grenze benötigen Containerganzzüge nur noch rund fünfeinhalb Tage.

OWC: Wie wirkt sich die Rubelentwertung auf die Beförderungspreise im Bahnverkehr China-Europa aus?

Werner Albert: Dank der Bestrebungen der Länder, den Transit zu fördern, sind die Tarife für den Transitverkehr in den letzten Jahren in der GUS stabil geblieben. Eher wurden von den Bahnen noch Spielräume nach unten ausgeschöpft. Die raschen Wechselkursveränderungen sind jedoch von negativem Einfluss, da sie zu Instabilitäten führen. Da bei den Tarifen des Transitverkehrs und seiner Abwicklung mehrere Währungen – so der Schweizer Franken, der Rubel, der US-Dollar und der Euro – eine Rolle spielen, gleichen sich manche Kursschwankungen teilweise aus.


OWC: Anfang Januar dieses Jahres hat das „Gemeinsame Transport-Logistik Unternehmen“ der Länder der Zoll- und Wirtschaftsunion Russland, Belarus und Kasachstan, die OTLK, ihre Tätigkeit aufgenommen. Sie soll die internationalen Containertransitverkehre dieser Länder fördern. Was für Impulse für die Verkehre über die Landbrücke sind zu erwarten?

Werner Albert: Wir haben als CCTT den Beginn der Tätigkeit der OTLK begrüsst und wünschen uns, dass durch das Unternehmen neue Containerströme für die Landbrücke mobilisiert und die Transporte weiter beschleunigt werden. Im Moment arbeiten die Containergesellschaften der Bahnen aller drei Länder, Transcontainer, Belintertrans und Kedentrans, einerseits mit der OTLK zusammen, andererseits verfolgen sie ihre eigene Geschäftspolitik. Wie sich das im Weiteren darstellt, bleibt abzuwarten.


OWC: Wie unterstützt der CCTT konkret die Entwicklung der Transitverkehre über die Landbrücke?

Werner Albert: Der CCTT ist eine starke und aktive Lobbyorganisation für die euroasiatischen Containerverkehre auf der Bahn. An seiner Spitze steht der Präsident der RZD, Wladimir Jakunin, was natürlich vorteilhaft für einen raschen Informationsfluss zu allen Fragen der Transitverkehre ist. Der Koordinationsrat hat einhundert Mitglieder aus 25 Ländern, darunter Bahnen, Assoziationen von Speditions- und Transportunternehmen, Organisationen verschiedener Länder, staatliche Strukturen, Zoll- und Grenzeinrichtungen. Zahlreiche westeuropäische, in den GUS-Bahnverkehren aktive mittelständige Unternehmen werden gemeinsam durch die Gemeinschaft Europäischer Transsibirienoperateure und –spediteure GETO im CCTT vertreten. Der Rat ist eine wichtige Plattform für den Meinungsaustausch und die Entwicklung neuer Ideen. Er betreibt aktives Marketing für die Transsibirienverkehre und bemüht sich mit seinen Arbeitsgruppen um attraktive Beförderungspreise und um die stärkere Nutzung der IT zur Beschleunigung der gesamten Begleitprodezuren.

OWC: Sie sind Vice Chairman des CCTT, Ehrenvorsitzender der GETO und Präsident des Verwaltungsrates von TransInvest, einer Unternehmensgruppe, zu der eine ganze Reihe im Russland-Geschäft engagierter Gesellschaften gehören. Wie sieht das Geschäftsklima zurzeit aus?

Werner Albert:
Wir konnten in den vergangenen Jahren eine recht stabile und belastbare Vertrauensbasis mit allen unseren russischen Partnern aufbauen. Diese dürfte eine Krisenperiode in den politischen Beziehungen zwischen dem Westen und Russland überstehen, vorausgesetzt, dass sie bald beendet wird und sich nicht noch weiter verschärft

Das Gespräch führte Christine Kulke-Fielder. Quelle: OWC Nr. 3/2015

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